„Rechtswidriger Eingriff“

Der Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe zieht gegen die Notstands-Gesetzgebung vor Gericht.

„Eine Organ-Klage ist immer das jeweilige Vorgehen des betroffenen Organs“, sagte Marcel Luthe (FDP), innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, gegenüber Sputnik.

„In dem Fall von mir — ich bin als Abgeordneter des Landes Berlin ein solches Organ. Diese Klage erfolgt ganz unabhängig von einer Fraktions- oder Parteimitgliedschaft. Sondern der einzelne Abgeordnete kann sagen: Ich habe ein verfassungsmäßiges Recht — und in dieses Recht wird nun eingegriffen.“

Gewählte eines Parlaments — in diesem Fall das Berliner Abgeordnetenhaus — können laut der Berliner Landesverfassung solche juristischen Möglichkeiten nutzen.

Am Montag (13. April) reichte FDP-Landespolitiker Luthe beim Berliner Verfassungsgericht eine Organ-Klage gegen Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) ein. Mit seiner Klage kritisiert der Abgeordnete Auflagen aus der neuen Eindämmungsverordnung der Stadt Berlin gegen die Covid-19-Pandemie. „Luthe hält viele Regelungen der Corona-Verordnung für rechtswidrig“, berichtete die Berliner Zeitung am Dienstag (14. April).

„Er befürchtet, dass Polizisten und Behörden die Bestimmungen nach Gutdünken auslegen könnten.“

„Meine Klage richtet sich gegen…“

Der Freidemokrat sehe vor allem seine Rechte als Abgeordneter eingeschränkt. Nach seiner Überzeugung verunsichere die teils sehr unbestimmte und willkürliche Verordnungslage „die Bürger unserer Stadt“.

„Meine Klage richtet sich wiederum gegen andere Verfassungsorgane“, erläuterte Luthe im Sputnik-Interview.

„So gegen den Regierenden Bürgermeister als Organ — aber nicht gegen die Privatperson Michael Müller. Sprich: Der Abgeordnete klagt gegen das Amt des Regierenden Bürgermeister. Diese Klage reiche ich als das Organ Abgeordneter ein, nicht als Person. So ist das vom Verfassungsgerichtshof festgelegte Verfahren.“

Verstoßen Berlins Corona-Maßnahmen gegen „freies Mandat“?

Die Klage richte sich im ersten Schritt „unmittelbar tatsächlich in der Verordnung gegen den Paragraphen 14, Absatz 2 und 3“, sagte der FDP-Landespolitiker.

„Davon bin ich als Abgeordneter betroffen und deshalb ist die Organ-Klage auch möglich.“

„Das ist für mich ganz offensichtlich ein rechtswidriger Eingriff in das freie Mandat“, so Luthe.

Er kritisiere am Verfassungsgericht in Berlin folgendes:

„Die Berliner Verordnung verlangt von mir, dass ich glaubhaft machen muss, dass ich als Mandatsträger aktuell mandatsbedingt im Stadtgebiet unterwegs bin. Das bedeutet, dass ich dem Mitarbeiter des Ordnungsamtes — jedenfalls nach dem Wortlaut dieser Verordnung — erklären muss, aus welchem Grund ich grade zwingend als Abgeordneter meine Wohnung verlassen muss. Und dieser Mitarbeiter entscheidet dann nach billigem Ermessen, ob das ausreicht als Begründung unterwegs zu sein oder eben nicht. Wir haben das vom Grundgesetz geschützte ‚freie Mandat‘.“

Dies bedeute, dass ein Abgeordneter „niemandem gegenüber Rechenschaft für seine Mandatstätigkeiten ablegen muss. Wenn ich das jetzt plötzlich tun müsste, hätte ich zu erklären, wen ich getroffen und mit wem ich vertraulich gesprochen habe: Ob nun Bürger oder Wähler. Wir haben da einen gewissen Quellenschutz.“

Falls der Politiker dieser alltäglichen Tätigkeit nachgehe, könne er somit gegen die Corona-Auflagen verstoßen. In einem solchen Fall drohe dann „ein Ordnungsgeld oder sogar Ordnungshaft im Wiederholungsfall, wenn ich mich nicht erkläre oder der Beamte der Auffassung ist, dass ihm meine Erklärung nicht ausreicht.“

„Warum kann ich in Berlin noch Fahrräder kaufen — aber keine Hosen?“

Als Beispiele für seine Kritikpunkte nannte Luthe einige Bestimmungen aus der Berliner Eindämmungsverordnung:

„Behauptet wird, es sei absolut gefährlich, jetzt in einem Bekleidungsgeschäft eine Hose zu kaufen. Es sei aber gleichzeitig absolut ungefährlich, in einem Fahrradladen ein Rad zu kaufen.“

Weshalb beispielsweise Friseur-Salons und kleine Einzelhändler weiterhin nicht öffnen dürfen — selbst wenn diese Läden geeignete Schutzvorkehrungen träfen — sei für ihn nicht nachvollziehbar. Diese Auflage treffe insbesondere die Wirtschaft Berlins hart.

„Ich sehe hier (in der Berliner Verordnung, Anm. d. Red.) Widersprüche und es wirkt schon in Ermangelung einer Begründung willkürlich. Das war für mich der Anlass zu sagen, es muss jetzt eine Erklärung erfolgen. Und wenn der Berliner Senat als Verordnungsgeber diese Erklärung weder gegenüber dem Parlament (Abgeordnetenhaus, Anm. d. Red.) noch gegenüber dem Bürger vornehmen will, dann soll es der Senat wenigstens vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof tun.“

Als positives Gegenbeispiel lobte der Berliner FDP-Abgeordnete die Landesregierung in Sachsen-Anhalt, die laut ihm zu allen einschränkenden Maßnahmen in der Corona-Krise „umfangreiche Begründungen veröffentlicht hat“. Damit wurden dortige Wirtschaftstreibende und Bürger beruhigt.

„Außerdem haben vor mir renommierte Verfassungsrechtler bereits ähnliche Bedenken geäußert. Ich erinnere nur an die Kritik von Professor Hans-Jürgen Papier, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.“

Auch die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte erst Anfang April die bundesweiten Anti-Corona-Beschränkungen als „ernste Gefahren für unseren Rechtsstaat und unsere Grundrechte.“

Was das Infektionsschutzgesetz damit zu tun hat

„Ich bin für die Klage geschichtlich weit zurückgegangen, um zu prüfen, was die damalige Begründung für die Einführung dieses Gesetzes war“, berichtete Luthe. Die Begründung für die neue Berliner Verordung beruht demach auf dem Infektionsschutzgesetz. Dieses wiederum nimmt Bezug auf frühere gesetzliche Bestimmungen, darunter das Bundes-Seuchengesetz aus dem Jahr 1961.

„Zunächst muss man sehen, dass das Infektionsschutzgesetz kürzlich noch einmal geändert wurde“, blickte der FDP-Landespolitiker wieder in die Gegenwart. Ende März „wurde dort die Formulierung aufgenommen, dass im Falle von Krankheiten etc. pp. auch Maßnahmen gegen Personen zulässig sind. Der Begriff ‚Person‘ wird da nicht weiter erklärt. Den könnte man so interpretieren, dass Maßnahmen gegen wirklich jeden Bürger zulässig sein sollen.“ Er verwies auf folgenden rechtlichen Hintergrund:

„Da aber Eingriffe ins Grundrecht bestimmt sein müssen und sich unmittelbar aus dem Gesetz klar und deutlich ergeben müssen — damit jeder beurteilen kann, was der Personen-Begriff nun bedeutet — ist meines Erachtens der Begriff Person in diesem Zusammenhang nicht ausreichend.“

Sein Fazit:

„Ganz offensichtlich hat der Bundesgesetzgeber — auf den sich jetzt alle stützen — nicht an eine Möglichkeit gedacht, bundesweit für alle gesunden Bürger alle möglichen Grundrechte einschränken zu können. Daran hat der Gesetzgeber nicht gedacht und das bedeutet, dass es keine gesetzliche Grundlage für diese Berliner Verordnung gibt.“

FDP-Politiker verlangt Erklärungen vom Senat

Außerdem kritisiert der FDP-Landespolitiker in der Organ-Klage ebenso, dass der Senat seiner Ansicht nach für einen so weitgehenden Eingriff in die Kontrollrechte der Abgeordneten und in die Grundrechte der Bürger nicht befugt sei.

„Ich rüge in meiner Klage auch, dass der Artikel 64 der Berliner Landesverfassung nicht vom Senat beachtet wird.“

Demnach dürfe der Berlins Senat nur dann neue Rechtsverordnungen erlassen, wenn dafür auch gesetzliche Grundlagen vorliegen. Dies sieht Luthe kritisch.

Der kritische Blick auf Regierungshandeln sei letztlich „die Pflicht eines jeden Bürgers und Volksvertreters“, betonte er und konkretisierte:

„Dass man die eine oder andere Maßnahme kritisch sieht, heißt nicht, dass man diese ablehnt.“ Sondern es gehe um eine sorgfältige Prüfung und vor allem Erklärung der getroffenen Maßnahmen durch die Regierung. „Es ist für eine Demokratie die absolute minimale Grundvoraussetzung, dass der Senat als Berliner Landesregierung in der Lage ist, seine Maßnahmen zu erklären. Nichts Anderes fordere ich ein: Ich möchte Erklärungen vom Senat.“

Zuerst erschienen auf RUBIKON CC4.0

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